Auftakt der Regionalliga: Ein knappes 0,5:3,5
Wenn man 0,5:3,5 verliert, spart man sich gewöhnlich lange Worte zum Wettkampfverlauf und deckt den Mantel des Schweigens über die klare Niederlage. Dass dies im Fall des ersten Auftritts unserer Mannschaft in der Frauen-Regionalliga anders sein soll, hat zwei Gründe. Zum einen war es eben der Saisonauftakt, der erste Schritt in das Abenteuer Regionalliga, das unsere Mannschaft gleich in die „große weite Welt“ verschlug, nämlich nach Aachen. Zum anderen trügt das klare Ergebnis: Mit etwas mehr Glück – oder vielleicht etwas mehr Routine, da Glück im Schach ja bekanntlich keine Rolle spielt – wäre leicht sogar ein Punktgewinn gegen den haushohen Favoriten möglich gewesen.
Aber der Reihe nach. Wir traten bereits einen Tag vor dem Wettkampf die Fahrt nach Nordrhein-Westfalen an. „Wir“ sind in diesem Fall die Spielerinnen Sabine Ziegler, Verena Jacobs (Birkenfeld), Julia Petry (Hermeskeil) und Svenja Mayer (Idar-Oberstein) nebst jeweils männlicher Begleitung, so dass auch Michael Hippenstiel und meine Wenigkeit in den Genuss der Fahrt in die Kaiserstadt Aachen kamen. Ich übergehe jetzt mal all die kleineren Episoden rund um diese Fahrt sowie die merkwürdige Bedienung im hoteleigenen Bistro, die mir das falsche Heißgetränk servierte und auf meinen Hinweis, ich hätte doch gar keine Latte Macchiato sondern Cappuccino bestellt, antwortete: „Ich habe aber jetzt Latte Macchiato gebracht. Kostet auch das Gleiche!“, was uns alle einigermaßen fassungslos machte. In jedem Fall wurde das Thema Cappuccino zum running gag der folgenden Tage.
Am Samstagnachmittag stand noch eine Stadtbesichtigung auf dem Plan. Sehr lobenswert hier Michaels Vorbereitung, der sich über die Sehenswürdigkeiten Aachens informiert hatte und uns in bester Stadtführer-Manier durch die Innenstadt lotste.
Hier einige Impressionen aus der schönen und facettenreichen Stadt Aachen:
Seinen Abschluss fand der Tag bei einem gemütlichen Abendessen in einem Restaurant in der Altstadt.
Kommen wir nun zum schachlichen Teil. DJK Aufwärts St. Josef Aachen 1920, wie unsere Gegner offiziell heißen, ist ein Verein mit 164 Mitgliedern, darunter 10 Großmeistern, dessen erste Mannschaft in der 2. Bundesliga spielt. Demzufolge ist alles ein bisschen größer als in Birkenfeld, was schon beim vereinseigenen Gebäude mit großem Trainingsraum anfängt.
Nicht ganz so eindrucksvoll, aber dennoch sehr beachtlich die Aufstellung unserer Gegner, die sich den Luxus erlaubten, drei der vier ersten Bretter gegen uns nicht aufzustellen, aber dennoch in allen vier Partien DWZ-Vorteile aufwiesen, davon an dreien mehr als 200 Punkte. Im Einzelnen sah das so aus:
Ingeborg Jansen (1815) – Julia Petry (1374), Nadja Plumbaum (1560) – Sabine Ziegler (1302), Julia Havenith (1552) – Verena Jacobs (1243), Galina Plagge (1250) – Svenja Mayer (1192)
Von der Papierform her also eine ganz glasklare Angelegenheit, aber wie bereits gesagt lief es in der Praxis lange Zeit ganz anders: Unsere Mannschaft hielt den Wettkampf dreieinhalb Stunden lang offen. Am eindeutigsten entwickelte sich dabei noch die Partie der früheren Kaderspielerin Plumbaum gegen Sabine, die mit der Eröffnungsbehandlung ihrer Gegnerin nur schwer zurecht kam, im Mittelspiel sehr gedrückt stand und schließlich angesichts von beträchtlichem Materialverlust aufgeben musste.
Dafür hatte Svenja eine hervorragende Stellung erspielt, in der sie lediglich auf ihren König aufpassen musste, der in der Mitte hängengeblieben war. Da aber die Angriffschancen eher auf ihrer Seite langen, sie zudem noch zwei Mehrbauern und großen Zeitvorteil besaß, hoffte ich hier auf einen vollen Punkt. Der wohl entscheidende Moment ist der folgende:
Das ist die Stellung nach 27.Tad1, mit dem Weiß wegen der Fesselung auf der e-Linie den Ld5 angreift. Wenn man die Stellung mit dem Computer analysiert staunt man, wie genau Schwarz trotz der scheinbar geringen weißen Angriffsressourcen hier spielen muss. Svenja zog
27…Kf8(?), und dieser Zug scheint bereits den Gewinn auszulassen, was aber beiden Spielerinnen während der Partie nicht bewusst war. Nach 27…Kd7 stünde Schwarz auf Gewinn, weil der Ld6 gedeckt und somit der folgende Damenzug keine Drohung ist.
Nach dem Partiezug räumte Weiß mit Tempogewinn das Feld e3: 28.Db6, und erzwang nach
28…Le7 mit 29.Se3 den Abtausch des dominierenden Ld5. Hier nun ein weiterer Schlüsselmoment, der demonstriert, wie wenig mitunter die Wahrnehmung in der Hitze des Gefechts mit der nachträglichen objektiven Stellungsbewertung zu tun hat (und das trifft natürlich auf jeden Schachspieler zu, keineswegs nur auf die hier beteiligten Spielerinnen!). Svenja zog 29…Dg6!?, was in der Analyse allgemein kritisiert wurde. Ihre Gegnerin meinte sogar, sie hätte nach 29…De2 aufgegeben, da sie in der verbliebenen knappen Zeit keine Verteidigung mehr gefunden hätte. Aber die Wahrheit ist eine ganz andere. Nach 29…De2?? gewinnt Weiß! 30.Sxd5 exd5 öffnet die e-Linie, über die die Anziehende einen entscheidenden Konter anbringen kann: 31.Tfe1 Dc4 (31…Dh5 32.Txd5 mit der Drohung 33.Txe7 Kxe7 34.Dd6+ Ke8 35.Te5#) 32.Dh6+ Tg7 (32…Ke8 33.Dd6+–) 33.Txe7+–.
War also 29…Dg6 ein Fehler? Objektiv ist es wohl der beste Zug, aber er erlaubt der zeitnotgeplagten Weißspielerin die Entlastung durch den Tausch der Damen, während das eigentlich total falsche 29…De2 vermutlich gewonnen hätte. Habe ich eigentlich zu Beginn des Berichts geschrieben, es gäbe kein Glück und Pech im Schach? Vielleicht habe ich mich geirrt! 😉
Der weitere Partieverlauf war:
30.Sxd5 exd5 31.Dxg6 Lc5+ 32.Lf2 Lxf2+ 33.Txf2 fxg6 34.Txd5 Tg7 35.Tfd2 Te8
und hier bot Svenja selbst Remis an, was ihre Gegnerin natürlich sofort annahm. Bei allen Schwierigkeiten, die dieses Doppelturmendspiel mittlerweile bietet, war es wohl notwendig, angesichts des Wettkampfstandes von 0:1 weiterzuspielen, schon allein, um die Aachener Spielerinnen an den anderen Brettern unter Druck zu setzen.
Denn auch an den Brettern 1 und 3 ging es noch hoch her. An Brett 1 spielte Julia eine herausragende Partie. Gegen ihre fast 500 DWZ-Punkte stärkere Gegnerin hielt sie bis ins Endspiel ebenbürtig mit.
Wenn alle Turmendspiele remis wären, hätte Weiß angesichts der gegnerischen Bauernstruktur ja wohl überhaupt keine Probleme. Aber so einfach ist die Sache natürlich nicht. Der schwarze Turm ist sehr gut postiert und bindet eine weiße Figur an die Deckung des Bauern c2.
38.b4?!
Verliert ein entscheidendes Tempo und gestattet Schwarz, den Einbruch des weißen Königs zu verhindern. Nach [38.Kc4 Ke6 39.Kb5 g4 40.Kxb6 Tf2 41.Kxb7 g3 42.b4 g2 43.Tg1 Txc2 44.a4 d5 (44…Tc4 45.b5 Txa4 46.Txg2=) 45.a5 Tb2 46.Kc6 Txb4 47.Txg2= hätte Julia sich nach einer tollen Partie mit einem halben Punkt belohnt.
38…b5 39.Tf1+?!
Vielleicht ist 39.c4 die letzte weiße Chance.
39…Ke6 40.Tf8 Tg3+ 41.Kd4 Tg4+ 42.Kc3 Tc4+ 43.Kb3 g4 44.a4 Tc7 45.Tg8 bxa4+ 46.Kxa4 Kf5 47.Tf8+ Ke4 48.Tg8 48…Kf3 49.Td8 g3 50.Txd6 Txc2 0–1
Die Schlussstellung ist – entgegen meiner spontanen Einschätzung – tatsächlich hoffnungslos für Weiß.
Wenn man kein Glück hat, kommt meistens auch noch Pech dazu. Dieses geflügelte Wort des früheren Fußballprofis Jürgen Wegmann bewahrheitete sich auch in unserem Wettkampf. Verena, die ebenfalls über weite Strecken bärenstark gespielt und ihre deutlich besser bewertete Gegnerin unter Druck gesetzt hatte, bekam am Ende einen gegnerischen Freibauern nicht mehr in den Griff, musste eine Figur geben und verlor kurz darauf auch die Partie.
Wie lautet das Fazit? Zuerst das Positive, das deutlich überwiegt. Unsere junge Mannschaft hat gezeigt, dass sie mit nominell deutlich überlegenen Gegnerinnen in der Regionalliga mithalten kann. Trotz des deutlichen Endergebnisses stand Aachen mehr als drei Stunden lang am Rand eines Punktverlustes. Was vielleicht am ehesten fehlt, ist die Wettkampfhärte, vielleicht auch etwas Technik in schwierigen Mittel- und Endspielstellungen. Es ist offensichtlich sehr von Vorteil, wenn man in langen und anstrengenden Partien auf bestimmte Vorbilder und Muster zurückgreifen kann. Vielleicht lohnt es sich, über ein verstärktes Training nachzudenken. Auch hier kann Aachen als Vorbild dienen:
Schöner Bericht 🙂 lasst euch nicht unterkriegen, hattet ja auch eine schöne Zeit
positives Erlebnis festhalten
Sehr schöner Bericht von dir, Mario!
Auch sehr lustig, dass du deinen „Cappuccino“ noch mit eingebaut hast 😀
Kopf hoch,
man bringt immer was
positives mit nach Hause.
Schöne Bilder,schöner Bericht.
Weiter so.
Schöner Artikel,Mario!
Die Spannung zieht sich von der ersten bis zur letzten Zeile hindurch,doch eines hast du vergessen:neben deinem Cappuccino gab es an diesem Tag noch einen weiteren „running Gag“und zwar…DIE URFTER TRÜFFEL 😉